literaturkritik.de Nr. 9 September 2007
Agnes Koblenzer
Sie aß gern Schnecken auf Reisen
Angela Daubers touristische Randansichten Lissabons
"Morgen gehen wir nach Portugal Fische fangen mit der Hand". Ein schönes Versprechen, das zunächst keine Einlösung findet. Statt des Fischfangs begegnen wir den Straßen, den Häusern und den staubig heißen Stadtlandschaften Lissabons, in denen – umso intensiver betrachtet – sogar Menschen nur vereinzelt, statisch und verbraucht vorkommen. Es sind
Menschen, die sich dem oberflächlichen Blick eines Urlaubers entziehen. Ein schlafender, im Sitzen
urinierender Obdachloser im Morgengrauen, ein zerknitterter Fischverkäufer, ein Herumtreiber, der die Passanten mit faulen Eiern bewirft.
Die Touristin, in deren Rolle die Autorin Angela Dauber schlüpft oder sogar unverkleidet auftritt, will den Alltag der Lissabonner Vororte möglichst hautnah erleben, um ihn anschließend in knappen, sprachlich schlichten aber fesselnden "Schnappschüssen" und poetischen Tagebuchnotizen festzuhalten. Obwohl ihr dafür nicht einmal ein Hotelwechsel zu viel Mühe bereitet, bleibt sie dort, von der heilen Urlaubswelt abgeschottet, "die
einzige Fremde, ohne portugiesische Worte und ohne deren eigenwillig
verschleifenden Klang".
"Ein Rausch aus Lärm und Schall und Klang. Worte werden mir entgegengeschleudert. Ich verstehe
nicht, schaue weg, schnell weiter, fort. Fremd. Zurück. In die Großstadt."
Viel Sonnenlicht, helle Farben, sengende Hitze. Zu Reglosigkeit erstarrte
Schachspieler. Assoziationen an den großen Portugalverehrer Antonio Tabucchi drängen sich auf. Wie in dessen "Lissaboner Requiem" geht es auch bei Dauber nur in
den Markthallen lebhaft zu. Zurück auf der Straße eine Kalé – Angehörige einer Untergruppe der Roma – steht mit ausdruckslosem Gesicht an der Bushaltestelle. Die Erzählerin wird sie später noch einmal treffen, in einer Slumsiedlung, der Favela, an die sie sich
verstohlen heranschleicht und sogleich verschämt von dort flüchtet.
"Kein Elendstourismus, rasch abbiegen, am Rand des Dorfes entlang, vorbei an der
unteren Häuserzeile. Auf den Balkons im ersten Stock hängt Wäsche. Männer stehen auf der Straße, alte Männer, vereinzelt, auf einen Stock gestützt. Schauen mich an. Sehen mir nach. Ich kehre um. Zurück übers freie Feld. Auf den Nachbarpfaden kommen Menschen den Hang hinab, junge Männer, eine alte Frau, eine andere wandert in der Ferne den Hügel hoch. Farbige. Doch Favelas?"
"Menschen. In Städten z.B. Lissabon", der zweite Gedichtband der Autorin, der kürzlich beim epodium Verlag erschien, könnte der Anfang oder Glied einer Reihe sein. Damit knüpft Angela Dauber an das Genre des Reiseberichtes an, das sich beliebig
fortsetzen lässt, wenn auch nur gedanklich. Die Reiseeintragungen fügen sich zu einer assoziationsreichen Erzählung von dem Reisen, der Reiselust und Sehnsucht nach dem Unbekannten. Dafür mag Lissabon ein gutes Beispiel sein: "Sie aß gern Schnecken auf Reisen. Und Muscheln, Austern, Krabben, Krebs. Und Kaviar,
aus Teheran. Die Fremde schmecken und sich einverleiben, entgrenzen, Lust",
schreibt die Autorin über ihren Trip.
Sie wolle "heim, aber für uns gibt es ja kein Zuhause, steht neben ihrem Bett in ihrem Zimmer, ihrer
Wohnung, bereit für die Nacht. Bereit? Ferne suchen, so lange ich mir nah."
Buchbesprechung