1 Woche lang in Münchens Innenstadt, von Freitag bis Freitag, in öffentlichen Räumen,
bis zu 8 Handys, bis zu 8 öffentlich telefonierende Performer,
bis zu 3 Gesprächs-Sets pro Tag und 21 Gesprächen insgesamt pro Performer,
mit insgesamt 83 fernen Gesprächsteilnehmern,
1 Gespräch jeweils von mindestens 1er Stunde Dauer mit 1em unbeobachteten,
unsichtbaren/-hörbaren Partner irgendwo zuhause, in der Stadt, im Land:
inszenierte, irritierende Privatheit.
Die Situation sieht wie immer aus, doch der Grad der Inszenierung ist ein anderer.
Intimität wird nach außen gestülpt, eine nur scheinbar authentische Situation.
Es geht um Sprache, das gesprochene Wort in seiner subversiven Privatheit.
Es geht um die Hinwendung zum Mündlichen, zum Flüchtigen, zum Vergänglichen.
Es geht um sprachliche Nähe, vermittelt im fernmündlichen Gespräch und öffentlich vorgeführt, um monologische Dialoge. Es geht um Voyeurismus, visuell und akustisch.
Es geht auch um die Auflösung von Form und das Verwischen der Grenze
zwischen ‚wahrem’ Leben und inszenierter ‚Kunst’.
Man wechselt immer noch die Welt: Es scheint letztlich ein und dasselbe zu sein, ob wir nun in einer oder in mehreren Welten leben. Der Unterschied verflüchtigt sich bei näherer Betrachtung: Wenn wir es mit vielen Welten zu tun haben, dann können wir diese in einer Vielzahl von Welten zusammenfassen, und wenn wir es mit einer einzelnen Welt zu tun haben, dann beinhaltet diese eine Vielzahl von zum Teil kontrastierenden Weltzuständen. Die eine Welt kann als viele oder die vielen Welten können als eine aufgefaßt werden. Der Standpunkt variiert lediglich mit dem ausgewählten Bezugsrahmen und den verwendeten Begriffsschemata. (…)
Andererseits können wir feststellen, daß unsere gegenwärtige intellektuelle und ästhetische Weltanschauung weitgehend anti-realistisch ist, d.h. von der Einstellung geprägt ist, daß wir zwar sehr wohl über eine Sprache ohne eine Welt, aber nicht über eine Welt ohne eine Sprache verfügen können. Substanz hat sich in Funktion aufgelöst und wir erkennen, daß das Gegebene ein von uns selbst erzeugtes Konstrukt ist, d.h. daß wir durch den Gebrauch von zumeist verbalen oder visuellen Symbolsystemen zahllose Welten selbst erzeugen, die freilich nichts anderes als Weltbeschreibungen oder Weltversionen sind. (…)
Wenn wir den Weltenpluralismus anerkennen, dann ergeben sich aus dieser Auffassung Fragen, wie es uns zum einen überhaupt gelingen kann, neue Welten zu schaffen, zu prüfen und auszuwählen, und zum anderen, welche Konsequenzen dieses Erzeugen neuer Weltversionen für unsere Erkenntnis und unser soziales Handeln haben. Fragen also nach den Bedingungen und Möglichkeiten der Konstruktion physischer oder sozialer Tatsachen und nach den Voraussetzungen und Konsequenzen einer immer schon medial vermittelten Erfahrung der Welt. (…)
Der Begriff der Kunst scheint sich einer eindeutigen theoretischen Fixierung zu entziehen und die Grenzen von Kunst und Nicht-Kunst verflüchtigen sich und lösen sich in ununterscheidbaren Gegenständen und Ereignissen auf. Die performativen Ausdrucksformen der zeitgenössischen Kunst intendieren daher nicht mehr die Herstellung relativ dauerhafter materieller Produkte, die aus dem praktischen Leben herausgehoben und an bestimmten Orten verwahrt werden, sondern zielen auf die Konstruktion und Organisation einmaliger, vergänglicher Ereignisse ab, die zwar sinnlich erfahrbar, aber sich gegen Aufbewahrung und technische Reproduzierbarkeit sperren und lediglich in der Erinnerung festgehalten werden können.
Performative Kunstformen sind mehr oder weniger zeitgebundene und symbolhafte Weisen der Welterzeugung, die sich zumeist aus der mündlichen Überlieferung und Erinnerung anderer Weltzustände konstituieren. Performance als Gedächtniskunst ist daher ein experimenteller Versuch oder Grenzgang, den avantgardistisch-utopischen Gedanken der Aufhebung von Kunst und Leben in neuer Form zu repräsentieren.

Ulrich Winko
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Fotos  Volker Derlath  Franz Kimmel
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